100 km Lauf in Biel
Biel der 2. Versuch
Nachdem ich im letzten Jahr aus gesundheitlichen Gründen bei 76,5 km raus musste, wage ich mich heuer erneut auf die 100km Distanz von Biel. Das Wetter ist im Gegensatz zum Vorjahr diesmal perfekt, somit geh ich ziemlich motiviert auf die Strecke. Die Schmerzen vom Vorjahr sind vergessen, die Blasen an den Beinen verheilt.
Viele Ultrasportgrößen sind am Start und ich habe heuer das Gefühl echt dazuzugehören. Durch meine verrückten Marathons habe ich in den letzten beiden Jahren viele der bekannten Läufer persönlich kennengelernt. Vor dem Start motivieren mich viele, dass es diesmal definitiv ein Finish geben wird.
Wir Ultras sind schon echt ein sonderbares Volk. Zu wissen dass es mit körperlichen und mentalen Problemen verbunden sein wird, hält uns nicht davon ab, uns auf die Reise zu machen und dabei auch zu uns selbst zu finden. Am Freitag pünktlich um 22 Uhr geht das Abenteuer los.
Meine geplante Zeit ist 14 Stunden 30 Minuten. Die ersten km führen vom Start beim Kongresshaus durch Biel. Jede Menge Zuseher, tolle Stimmung. Ich finde schnell mein Tempo und laufe gemeinsam mit meinem deutschen Kollegen Rafael Penalba, welcher mich fast auf allen meiner Läufe begleitet, in die „Nacht der Nächte“, wie diese Nacht in Biel genannt wird.
Bis km 20 alles ok, im Zeitplan. Rafael und ich trennen uns hier, ich laufe nun etwas schneller. Mit Beleuchtung ist es nun vorbei, rein in einen Wald, Stirnlampe an. Das Gelände und die Strecke wechselt in Biel ziemlich oft. Bei km 26 eine Versorgungsstation wo das erste Mal die Nahrungsaufnahme versagt, mein Magen wollte einfach nichts behalten. Mit Suppe und Salztabletten geht es Richtung km 38, dem Ende des ersten Teilstückes. Erste Möglichkeit zur Massage, die hatte ich vor dem Lauf schon eingeplant. Auch der Magen beruhigt sich wieder.
Km 50 passiere ich bei 6 Stunden 45 Minuten. Das Ende des 2. Teilstückes bei km 56 bietet wieder eine Massagestation. Hier wurde ich letztes Jahr das erste Mal verarztet. Diesmal habe ich keine Blasen, Massage trotzdem eingeplant und auch notwendig. Ich treffe auf Marcus Auer, meinen zweiten deutschen Begleiter an diesem Wochenende. Wir vereinbaren ab nun gemeinsam zu laufen. Kurzer Kleidungswechsel und wieder auf die Resie. Marcus geht es zu diesem Zeitpunkt nicht sehr gut, er hat Probleme mit den müden Beinen.
Über den Ho-Chi-Minh-Pfad, einem etwas schwierig zu laufendem Trailstück und den Emmendamm geht es nun etwas langsamer Richtung km 76,5, dem Ende des 3. Teilstückes, meinem Ziel vom Vorjahr. Letztes Jahr musste ich aus gesundheitlichen Gründen hier raus. Die Zeit noch ok. 11 Stunden 33 Minuten. Noch 23,5 km. Zu diesem Zeitpunkt ruft meine Familie an und motiviert mich diesmal zu finishen, bei 76,5 einfach vorbei zu laufen. Ich motiviere Marcus nicht stehenzubleiben. Ab hier ist die Strecke Neuland für mich. Eine heftige Steigung, dann geht es bis km 80 bergab. Vor dem Lauf sagten mir einige, ein Hunderter fängt erst bei 80 an. Und das solle sich bewahrheiten. Ab km 82 führt der Weg an einem Fluss entlang, Schotterweg, immer gerade aus. Unglaublich demotivierend. Bei km 86 fühle ich mich plötzlich als wäre ich gegen eine Wand gelaufen. Die Beine schmerzen heftig, traben und gehen wechseln sich ab. Der Kreislauf spiele nicht mehr mit, Müdigkeit setzt ein.
Hier geht es Marcus wieder besser und er versetzt mir die nötigen Tritte in den Ars… Nun nur noch finishen egal wann. Die km werden länger, die Motivation ist weg. Bei km 91 mein erstes mentales Tief. Ich setze mich zu einer Versorgungsstation und will nicht mehr weiter. Marcus zwingt mich aufzustehen, reicht mir Suppe und weiter geht es. Km 95, noch 5 km, die letzte Versorgungsstation. Hier dasselbe Spiel, keine Kraft und keine Motivation mehr, fast nicht mehr fähig zu laufen. Doch diesmal kann mich der innere Schweinehund nicht besiegen. Die letzten km werden im Geh und Laufschritt abwechselnd absolviert. Km 99, das berühmte Schild. Hier ist ein Foto fällig. Immer wieder hab ich mir im Laufe des letzten Jahres diesen Augenblick vorgestellt. Nicht den Zieleinlauf, sondern das Schild bei 99. Diesmal ist das Bild im Kasten. Der letzte km, alle Schmerzen vergessen. Ich laufe unter heftigem Applaus der Zuseher bei 15 Stunden 51 Minuten und 57 Sekunden ins Ziel.
Einer meiner Lebensträume hat sich erfüllt. Ich reiße die Arme in die Höhe und schreie ganz lauf „it’s done“. Ein echter Ultra bist du erst wenn du Biel gelaufen bist, hatte ich in vielen Zeitungen gelesen. Nun ist es erledigt. 837 Tage nach meinem ersten Marathon in der Sahara, 12 Marathons/Ultras in den letzten 2 Jahren. Und nun 100km. Ich bin stolz darauf, werde aber die Schmerzen und die mentalen Tiefs nie vergessen. Danke an alle die mich unterstützt haben und daran geglaubt haben dass ich das schaffe. Besonders meiner Familie, meinen Freunden, und besonders Marcus und Rafael.
Mentale Stärke ist so wichtig, und das Andere an dich glauben, das gibt einem Kraft Dinge zu absolvieren, welche unmöglich scheinen. Ja wir sind ein sonderbares Volk.
Als Abschluss noch ein Spruch der das alles beschreibt, warum wir so etwas machen, was uns motiviert und was uns unsere Grenzen ausloten und unsere Ziele erreichen lässt. „Das Schiff liegt sicher im Hafen, aber dafür ist es nicht gemacht“.
Andreas Walchshofer